Paolo Tesi
Paolo Tesi malt, weil er ohne das Malen nicht mehr auskommt. Er verspürt einen ständigen Drang, es zu tun, manchmal so plötzlich, dass er zu Stift und Papier greifen und sich an die Arbeit machen muss. Es ist etwas, das wie eine unkontrollierbare Quelle aus ihm heraussprudelt, ein pulsierendes Flackern, das er in Windeseile einfangen und auf einer beliebigen Oberfläche festhalten kann: einem Blatt Papier, einer Leinwand, der Rückseite eines großen Wandposters. Das Gefühl ist stark, es durchdringt ihn und er versucht, es zu lenken. Für einen Moment gelingt es ihm und er hält die ersten Zeichen an, aber es wird nicht einfach sein.
Die Kreativität beansprucht ihre Macht: die Freiheit zu entscheiden. Sie kann sich weigern. Aber er besteht darauf. Sie ist stärker als er. Die einfachsten und unwiderstehlichsten Formen der Ausdruckspraxis (und so ist es auch mit der Farbe) gehen durch seine zitternden Hände, die greifen, nachzeichnen, eingravieren und manchmal den Träger selbst durchbrechen und ihn zwingen, langsamer zu werden, Zeichen und Formen zu überarbeiten... ohne aufzugeben.
Beitrag von Thomas Becker, VHS Reutlingen:
Paolo Tesi, 1945 in Pistoia geboren, zählt zu den prominenten zeitgenössischen Grafikern und Malern Italiens. Ausgebildet unter anderem an der Scuola d’Arte in Pistoia und der Accademia di Belle Arti in Florenz, gilt er als „Maler, der der Lust des Schreibens anheimgefallen ist“ – in seinem malerischen und grafischen Schaffen, aber auch durch seine essayistische Tätigkeit.
So nimmt es nicht Wunder, dass die öffentliche Wahrnehmung seiner künstlerischen Tätigkeit mit vielen Buchgestaltungen und -illustrationen verbunden ist, aber auch mit der von ihm 1990 gegründeten Kunst- und Literatur-Zeitschrift „Ombrone“ oder seinen publizistischen Aktivitäten für die Florentiner Tageszeitung „La Repubblica“. Auch in Reutlingen, wo wir jetzt „SULLE NOT DI PINOCCHIO“ präsentieren, war Paolo Tesi bereits in Ausstellungen der Volkshochschule und der Galerie Gutekunst zu sehen.
Seit rund 20 Jahren beschäftigt er sich als Maler, Wandmaler und Grafiker intensiv mit Pinocchio, was nicht zuletzt seine 2002 erschienenen Interpretationen für eine Sonderausgabe von Collodis „Pinocchio. Le avventure di un burattino“ bezeugen.
Kuratiert von Thomas Becker, Leiter der künstlerischen Einrichtungen der vhs Reutlingen, wurde erstmals im Winter 2019/20 eine Ausstellung in Pistoias Partnerstadt Zittau präsentiert. Als Zeichen der Städtefreundschaft zwischen Pistoia und Reutlingen wurde sie dann auch im Haus der Volkshochschule gezeigt. Die Ausstellung vereinigt eine Serie großformatiger farbstarker Arbeiten aus dem Jahr 2019 mit meist expressiven älteren Zeichnungen, die die Auseinandersetzung mit der Holzpuppe als Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst erkennen lassen.
DIE BILDER
Küssen, küssen, küssen... Es scheint, dass die ganze Welt auf Küssen beruht. In ihrer Drehung in der kosmischen Leere bestätigt sich die Welt im leidenschaftlichen Augenblick des Kusses. Selbst Pinocchio kann sich dem nicht entziehen, indem er die Emotionen in einer Folge von Küssen vervielfacht, die er aus seiner eigenen Geschichte gestohlen hat.
Die Geister, die Pinocchio terrorisieren, verkleiden sich als Katze und Fuchs, versteckt hinter einem Laken. Aber auf diesem Gemälde scheinen sie sich zu materialisieren und wie Papierpuppen zu wirken. Außer der Katze und dem Fuchs sind auch zwei Hundeköpfe zu sehen - vielleicht eine Anspielung.
Der Buttermann steht für das Böse. Das Böse, das in seinen weniger offensichtlichen Formen die Kleider des Guten trägt. So wird Pinocchio von einem roten Pferd gezogen, das sich fast ins Spielzeugland verirrt und dort andere rücksichtslose Kinder versteckt.
Pinocchio ist oft in Gesellschaft, in den verschiedenen Kapiteln des Buches finden wir ihn mit Menschen oder Tieren. In diesem Werk betone ich dies und stelle ihn als Replikant seiner selbst zusammen mit anderen Figuren, vielleicht Stoffpuppen, mit der Schnauze eines Tieres dar.
Pinocchio tappt oft in eine Falle. Sogar in sich selbst gefangen. So stelle ich ihn in diesem Gemälde dar, in dem die Marionette nicht in der Lage zu sein scheint, sich von den Bändern und Seilen zu befreien, die sie umschlingen. Der Alptraum, der durch den Kopf eines Tieres dargestellt wird, ist ebenfalls transparent.
Pinocchio ist hyperkinetisch, und das hier wiedergegebene Werk gibt dies gut wieder. Inmitten eines Waldes von Zeichen, echten Flimmern, will er sich im visuellen Feld als eine Figur behaupten, die vorwärts geht und sich auf der Suche nach Raum und Zeit rückwärts dreht.
Die Sprechende Grille ist in perfekter Vollendung eines der wichtigsten Symbole der Pinocchio-Geschichte. Sie ist das gute Gewissen, das toskanisch spricht, der Ursprung der klugen und konkreten Seele unserer bäuerlichen Zivilisation.